Nach dem Verholmanöver bei 4 Bft. Wind verlassen wir die Insel Kihnu, und dann, kurz nach dem Auslaufen, kein Windhauch mehr. Wir motoren die nächsten 4 Stunden.
Eine Übernachtung legen wir in Kuivatsu ein, morgen geht es rüber nach Happsalu, eine Empfehlung von Mitseglern.
Bei absoluter Flaute laufen wir um 11.40 Uhr in Kuivatsu aus. Motor an, Motor aus, immer wieder kommt Hoffnung auf, doch noch segeln zu können, aber keiner erhört unsere Wünsche. Das Brummen des Motors macht Sehnsucht auf Segel hissen.
Bei unserer Ankunft in Haapsalu läuft im Hafenbistro eine Big Party. Der Hafenmeister samt Gefolge, im feinen Dress, grauer Anzug an rosa Hemd, nimmt die Leinen an, macht fest und lädt uns herzlich ein, mit zu feiern.
Haapsalu ist eine Stadt wie aus dem Bilderbuch, eine zauberhafter Kurort. Rheumakranke nehmen hier Schlammbäder. Die Skulptur der Stick Breaker (Stockbrecher) ist ein Symbol für die wieder gefundene Gesundheit, wenn man lange genug geschlammt hat.
Viele deutsche Touristen sind unterwegs, ein Städtchen zum Verlieben.
Die Strandpromenade ist Erholung pur und Das Kurhaus ist so auffallend schön, wie in den Prospekten abgebildet. Hier fällt mir das Lied ein: „Schmidtchen Schleicher mit den elastischen Beinen…..“ Das war sicher die Stimmung, wenn früher im Kursaal getanzt wurde.
Der Saal ist aus Holz gebaut, wie das Kurhaus überhaupt, mit sehenswerten Holzkonstruk-tionen, die das Dach tragen. Ein stilvolles Restaurant belebt heute den Raum. Wir erzählen mit einem Pärchen aus Südtirol, ja, richtig gehört. Die sind hier mit Bus und Fahrrad unterwegs und sind begeistert von dieser außergewöhnlichen Tour.
Und die schönsten Melodien erklingen aus der Tsaikovski-Bank im Kurpark (es ist eine zum sitzen). Er hat eine Weile in Haapsalu gelebt und komponiert.
In der Mitte der Stadt befindet sich die Bischofsburg aus dem 13. Jhd. Sie wurde bis zum 15. Jhd. zu einer weitläufigen Wallanlage ausgebaut. Für den Tourismus angenehm gestylt, als kulturelles Kleinod eine Bereicherung, macht das Castle einfach Lust auf Haapsalu. Im Innern des romantischen Bischofsitzes Lustwandeln, Schach spielen mit Figuren auf Rädern, die man darauf sitzend bewegen kann. Im Innenhof ein Spielplatz, der Eltern oder Omas einlädt, mal wieder Kind zu sein. Bühnen für kulturelle Programme stehen gleich mehrfach zur Verfügung.
Ein besonderer Ort, aus der Erinnerung nicht weg zu denken.
Das Fenster The White Lady in der Domkirche hat seine eigene Geschichte. Bei Vollmond im August sieht man die Lady am Fenster, vom Schleier verhüllt. Als Choir Boy verkleidet hatte sie sich Zugang verschafft, um im Chor mit singen zu können. Das musste sie teuer mit ihrem Leben bezahlen. Haapsalu hat ihr eine Open Air Performances gewidmet, eine jährliche Veranstaltung mit einem tollen Programm.
Für den Zar Nikolaus II und seine Familie wurde ein 216 m langer, überdachter Bahnsteig aus Holz gebaut, damit sie trockenen Hauptes ihre Kur in Haapsalu antreten konnten. Das muss man sich mal vorstellen.
Wir bleiben 2 Tage, lassen die Seele baumeln, genießen das schöne Wetter und die leckeren Torten im Café Müüriääe. Viel Fußmarsch und wir gehen in kein Museum.
Vor dem Auslaufen aus Haapsalu säubert Jürgen das Deck, füllt Wasser auf, holt das Stromkabel rein. Die Sprayhood ist ein Stück eingerissen und muss genäht werden. Arbeitsteilung, für draußen ist Jürgen zuständig. Mein Part ist, unter Deck unseren Segler für den nächsten Törn vorzubereiten.
Meine Kochkünste wissen wir beide zu schätzen. Aber das sind keine so tollen Motive für ein Foto, oder doch?
Bei spiegelglattem Wasser, Sonne pur, die roten Tonnen Steuerbord, verlassen wir die Haapsalu Bucht. Das langersehnte Russlandhoch scheint angekommen, das heißt aber auch, mehr motoren und oft wenig Wind. Und genau das passiert, wir fahren unter Maschine. Später weht der falsche Wind, wir kreuzen und mit 17 Wenden über 52 sm, erreichen wir die Bucht von Tallinn. Freude kommt auf, als wir die Silhouette der Stadt erkennen.
Am Donnerstag, 20. August um 21.00 Uhr erreichen wir den City-Hafen Tallin. Ein kleines Abendbrot, eine Weinschorle und ab in die Koje.
Der Hafen Tallinn bietet viel Platz für Gastlieger, ist perfekt angelegt, zentral gelegen, 10 Min. bis in die Altstadt. Die Liegegebühren betragen 45,- Euro pro Nacht (2015). Diese schöne Stadt zu erleben, war für uns ein Highlight und auch Ausgleich für die relativ hohen Hafengebühren. Naja, City Hafen London kostet 145,- Euro pro Nacht.
Am nächsten Tag gehen wir in die Altstadt zum Touristenbüro. Die wunderschönen mittelalterlichen Häuser in den engen Gassen machen Stimmung, noch sind kaum Touristen unterwegs. So früh am Morgen gehört die Stadt ein wenig nur uns allein. Im gut organisierten Tourist-Büro bekommen wir in deutscher Sprache ausführliche Flyer, Straßenkarten (plus Nahverkehrsplan) und Empfehlungen für unseren Aufenthalt in Tallinn, super.
Seit 1285 ist die Stadt Mitglied der Hanse. Von Deutschen und Schweden „Reval“ genannt, bekam die Stadt erst 1918, das Unabhängigkeitsjahr, den Namen Tallinn und wurde Hauptstadt von Estland.
Die 2,4 km lange Stadtmauer um die Altstadt ist fast vollständig erhalten. Von den 40 Begrenzungstürmen zieren noch ca. zwanzig das Stadtbild. Zu unserer Freude gibt es zu einigen Türmen Geschichten, die Laune machen. Das Rathaus aus dem 14. Jhd. schmückt den Rathausplatz. Aber Vorsicht, hier ist die Touristenschar aus aller Welt unterwegs und die vielen Lokalitäten werfen ihre Fangarme aus, an deren Ende attraktive Servicekräfte mit verlockenden Angeboten winken. Straßentheater und allerlei Firlefanz auf diesem schönen Platz gleichen die teils aufdringliche Erlebnisgastronomie aus.
Den wirklichen Charme des Mittelalters erleben wir abseits vom Zentrum. Wir bummeln durch die Gassen. Auf dem Dombergrundgang und Altstadtrundgang entdecken wir die stilvoll restaurierten Wohnhäuser, Speicher und Kaufmannshäuser. Nie haben wir eine so gut erhaltene, mittelalterliche Stadt gesehen. Früh unterwegs zu sein, erhöht den Genuss. Ich habe mich in die Stadt verliebt und träume von einer nächsten Tallinn Reise.
Nach unseren Rundgängen kehren wir im traditionsreichen Restaurant Peppersack ein. Eine gute Wahl, zumal sich hier 4 Gassen kreuzen und man gut Leute gucken kann. Als Dessert gibt es ein tolles Straßentheater mit Feuerschluckern. Wer ein Gespür für gute Einkehrmöglichkeiten hat, geht am Hell Hunt nicht vorbei, eine tolle Kneipe.
Auf unserem Rundgang außerhalb der Stadtmauern fanden wir den Hinweis, 7. Internationales Tallinn Flower Festival, das jährlich stattfindet. Aus dem europäischen Raum bewerben sich Städte mit kreativen Blumen/Garten Arrangements. Idee und Gestaltung wird gewürdigt und mit den Plätzen
1. – 3. bewertet plus einer tollen Öffentlichkeits-arbeit für die entsprechende Stadt, die gewinnt.
Keine Menschenseele war hier anzutreffen. Wir staunten über die Ideenvielfalt zu dem Thema und den entsprechend phantasievollen Arrangements, einfach toll. Wir lassen uns treiben und treffen auf Überraschungen, die in keinem Reiseführer stehen.
Rotermann-City liegt in der Nähe der Altstadt, hier trifft sich die Tallinner Jugend zum Lunchen, und überhaupt. Vor Jahren standen hier verfallenen Hafengebäude/Speicher. Mit einer beeindrucken-den Architektur sind die alten Gebäude mit den Neubauten sensibel zu einer neuen Einheit verschmolzen. Ein mit Kultur, Kommerz und mit Leben erfülltes neues Tallinn, wir genießen es und finden das 16eurohotel in der Roseni 9, wichtig für unseren nächsten Trip nach Tallinn. Die empfohlenen Kunstmuseen stehen dann ebenfalls auf dem Programm.
Von den interessanten Museen besuchen wir das Kunstmuseum KUMU. Das Spitzenmuseum des Landes. Es ist in einem auffallenden High-Tech-Bau untergebracht. Wir nehmen den Bus, schlendern durch eine großzügig angelegte Parkanlage, die zum Schloss Kadriorg (Katharinental) gehört. Zar Peter der Große hat dieses prächtige Barockschloss für seine Gemahlin, Katharina die Erste, gebaut und ihr geschenkt.
Jetzt stehen wir vor dem imposanten Museumsbau, das KUMU, ein architektonisches highlight und „Kunstwerk“ an sich. Die aktuellen Sonderausstellungen interessieren uns, was für Themen. Beide Künstler neigen in ihrer "Kunst" zu gewalttätigen Darstellungen.
„Home and Away“, das Thema der Ausstellung
Raymond Pettibon: “Living the American Dream“ (Amerikaner estnischer Herkunft)
Marko Mäetamm “Feel at home” (estnischer Künstler)
Beide Künstler wollen die Besucher mit ihren Bildern, Cartoons und Videos eindringlich vermitteln, wie die Realität des Lebens aussieht/aussehen kann. Ihre Themen: Die Darstellung negativer, sozialer Erfahrungen und das Absurde, die Grobheit der Modernen Realität.
Ehrlich, witzig-schockierend, schwarzer Humor mit einer unglaublichen Aussagekraft.
„The Force of Nature“ Realism and the Düsseldorf School of Painting
Der Ausstellung hat man die Idee gewidmet, die Nähe zur Realität im 19. Jhd. dominant darzustellen. Die ausstellenden Maler besuchten allesamt die Kunstakademie für Malerei in Düsseldorf. Die Bilder/Gesichter von Eduard von Gebhard gehen in ihrer Dreidimensionalität unter die Haut, zeigen schonungslos den Mensch in der Begegnung mit seinem oft schmerzlichen Schicksals.
Auch die Permanentausstellungen machen neugierig. Das Museum ist so spektakulär, wir könnten mehr Zeit
hier verbringen.
Riga war anders schön und natürlich sind unsere Schilderungen und Eindrücke subjektiv. Aber…… Tallinn ist eine Stadt der Verliebten und…. in Echt, sie macht Paris Konkurrenz.
Bis bald Ihr Lieben. Nach 5 Tagen Tallinn geht es morgen weiter mit Kurs auf Helsinki, ein Hauptstadt, die hoch im Kurs steht.