Ab Helsinki und für den Rest der Reise sind die Häfen anders ausgestattet. Wir legen nicht mehr seitlich an der Pier an sondern an Heckbojen, wie der Name schon sagt, mit dem Heck an der Boje fest machen. Eine Technik, die mir nicht vertraut ist und prompt ist mein erster Anleger-Versuch gescheitert.
Unsere Lösung: Jürgen klickt von achtern die Leine an die Boje und ich gehe mit der Backbord-Leine über die Bugleiter „über Bord“. Drei – zwei – noch ein Meter … STOP, so gebe ich Meldung an den Skipper. Gehe an Land, mache die Leine fest und drücke, wenn nötig, den Bug von der Pier ab. Eine gute Teamarbeit hat sich entwickelt.
Dienstag, 25. August, über fünfzig Seemeilen geht es über das offene Wasser geradeaus, Richtung Helsinki. Wind und Windrichtung müssen passen, das Glück ist auf unserer Seite. Wie bestellt, weht der Wind aus SO mit 3 – 5 Bft. Wir segeln außerhalb des Fahrwassers, in denen sich hauptsächlich Berufsschiffer, Kreuzfahrtschiffe und Fähren bewegen. Auf Kurs segeln wir „am Wind“ und haben freie Fahrt. Es war toll. Mit dem summenden Geräusch der Welle unter den Füßen gleiten wir mit 6 – 7 kn Geschwindigkeit durch den Finnischen Meerbusen. Ich brauche nicht auf`s Log zu sehen. Höre die leisen Unterschiede am Ton der Welle und weiß sofort, ob wir langsamer werden oder die Geschwindigkeit zunimmt. Ein gutes Gefühl, so steige ich auf, vom „Moses“ zum Leichtmatrosen.
Während der Überfahrt koche ich das erste Mal bei ziemlicher Krängung, Tikka-Masala-Hühnchen mit Reis. Sehr lecker, aber keine Kochaktion für alle Tage.
Wir sehen die ersten Schären vor Helsinki und dazwischen die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die sich langsam zwischen den Inseln bewegen und dann wieder verschwinden. Backbord zeigt sich die gewaltige Festungsanlage Suomenlinna. Eine Verteidigungsanlage, die letzt endlich die Russen nicht aufhalten konnte. 110 Jahre hatte Russland hier das Sagen. Heute Weltkulturerbe und kulturelles Zentrum.
Glücklich nach dieser rasanten Überfahrt, 52 Seemeilen in 8 Std., legen wir im Stadthafen „Norra Hamnen“ an. Der Hafen gehört zum Motorbootclub, ist riesig und vom Service her ein Bonbon. Die junge Hafenmeisterin ist überaus hilfsbereit. Das Ersatzteil für das Elektro-WC ist erst an die falsche Adresse geliefert worden. Auch hier hat sie ihre Kompetenz bewiesen.
Viele Schiffe um uns herum, keine Menschenseele an Bord, die Saison ist zu Ende. Wir liegen mit unserer Amanita mitten in diesem riesige Parkplatz für Boote jeglicher Couleur. Helsinki, die Coole, mal sehen, was uns erwartet.
Unser elektrisches und komfortables WC funktioniert nicht mehr. Ohne ins Detail zu gehen, der Keilriemen scheint defekt. Das Internet bekommt eine Eins mit Sternchen von uns. Jürgen hat über die "Information Deutschland" das Ersatzteil geordert. Die Lieferung kem frei Haus nach Helsinki und Jürgen konnte unsere Toilette reparieren, toll.
Ohne die technische Kompetenz des Skippers kann so ein Törn kostspielig werden.
Abends unternehmen wir einen ersten Spaziergang in die City. Mein erster Eindruck von Helsinki war eher kühl. Wir laufen durch die Straßen und der Frust steigt. Den Marktplatz am Hafen dominiert ein geschäftiges Treiben, uns fehlen hier die einladenden Cafes. Prächtige und elegante Jugendstil Gebäude, die auch protzig ihren Platz behaupten, der brummende Verkehr, kaum Grünanlagen, Helsinki hat uns mit seiner herben Seite begrüßt, Business und Anonymität. Außer einem Schnellrestaurant konnten wir an diesem schönen Hafenbecken keinen Platz zum Verweilen finden. Cafes sind auch soziale Begegnungs-stätten, meine ich. Aber hier einzukehren, ist kostspielig, und für Otto-Normal-Verbraucher kaum erschwinglich.
Ein Spaziergang auf der kleinen grünen Insel Tjärholmen am Hafen mit einem tollen Rundblick auf Hafen und Stadt und die professionelle Beratung im Tourismusbüro haben uns ein wenig mit Helsinki versöhnt. Die Menschen sind, wenn man sie anspricht, offen, hilfsbereit und überaus freundlich.
Wir nehmen uns einen Tag Zeit für die Seefestung Suomenlinna. 1748 wurde die Anlage gebaut. Eine Bastionsfestung, die sich über mehrere Inseln erstreckt und ehemals drei Ländern als Verteidigungsanlage diente; Finnland, Schweden und Russland. Der Tagesausflug hat uns gefallen. Die Wanderung über die Inseln mit seinen landschaftlich reizvollen Küsten zeigt uns das Ausmaß der Anlage. Im Besucherzentrum befindet sich ein lebendig gestaltetes Museum. Der Videofilm (in Deutsch) zeigt die Mühen beim Bau der Festung, und welche wichtige Rolle die Verteidigung damals gespielt hat. Die Angriffe der Deutschen und Engländer sind mit Bravour abgewehrt worden. Puschel konnten wir ausnahmsweise mit nehmen. Baulich ist die Anlage eine Meisterleistung, seit 1991 Weltkulturerbe.
Der Rundgang durch das historische Helsinki ist schon beeindruckend. Die Architektur von C.L. Engel, ein Schüler Schinkel`s, dazu gehört auch der Weiße Dom auf dem Senatsplatz, ist elegante, ist kühle Schönheit in Stein gebaut. Wir lassen uns treiben, besichtigen die Uspenski Kathedrale, den Haupt- bahnhof, ein prächtiger Granitbau mit seinen beiden Fackelträgern und entscheiden uns für das Museum KIASMA.
Das beliebteste Museum der Finnen, ebenfalls mit einer außergewöhnlichen Architektur.
Zeitgenössische Kunst steht auf dem Programm, unsere Wellenlänge.
Aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen begeistern mich immer. Sie ermöglichen Blicke hinter die Kulissen, bringen subtile, oft nicht bewusste Themen auf die Bühne.
"Face to Face" vom Künstler Robert Mapplethorpe ist das Thema. Wir sehen uns seine Videos an, die mit spannenden Inhalten ausgestattet sind. In den 80er Jahren war sein Arbeitsrevier der Untergrund von New York. Auf außergewöhnlichen Bildern hat er Künstler wie Andy Warhol dargestellt. Auch die Videos mit seiner Muse Patty Smith beeindrucken. Ihre Körperlichkeit, die Intensität ihrer Bewegungen waren faszinierend. Der Künstler ist nur 42 Jahre alt geworden. Er bewegte durch seine angeblich obszönen Bilder die amerikanische Gesellschaft. 2008 gab der Oberste Gerichtshof seine Fotografien frei, sein Bildband konnte nach 8 Jahren erscheinen.
Im Eingangsbereich erleben wir aktive Kunst. Eine ausdrucksstarke und ästhetisch schöne Performance, Der Kuss, wird von zwei jungen Menschen in weichen Bewegungen dargestellt. "Face to Face", was für eine tolle Idee zu dem Thema.
In anderen Videos wurden an Alzheimer erkrankte Menschen mit einer, ihnen bekannten Musik, „beschallt“. Fast alle haben sich im Rhythmus nach den Klängen bewegt. Eine Spanierin sang sogar mit einer schönen und klaren Stimme das Lied zur Melodie. Wenn die Musik vorbei war, saßen sie wieder, in sich gekehrt oder abge-stumpft, auf ihrem Stuhl.
Das zu Helsinki, die Coole Blonde.
Die Amanita wird verholt und vollgetankt. Am Dienstag, 1. September verlassen wir Helsinki und sind voller Vorfreude auf die Schärenwelt von Turku, den Aalandinseln und Schweden.
Ab ersten September ist die Segel-Saison in Schweden vorbei, die Häfen geschlossen. Wir wussten es, haben es aber nicht realisiert. Geschlossen heißt, wir können anlegen, meistens steht Strom und Wasser zur Verfügung (Heizung, kochen und warmes Wasser ist gesichert, samt Diesel). WLAN, Dusche, WC, Sauna, nein. Einkauf gibt es nur in größeren Häfen oder nach drei Kilometern Fußweg. No problem mit unserem Einkaufwägelchen. Und oft zahlen wir keine Hafengebühr.
Null Wind, der Himmel ist bedeckt, das Wasser silbrig glänzend, wir nehmen Kurs auf den Hafen Dragesviken. In dem winzigen Hafen legen wir an, Natur und Ruhe pur.
Am nächsten Tag regnet es wie aus Kannen, aber nur draußen ;-)). Wir legen einen Hafentag in Dragesviken ein, sichten die Karten, tragen Kurse ein, die nächsten Törns müssen geplant werden, ich lese oder schreibe an unseren Reiseberichten und Jürgen vertreibt die grauen Wolken mir Liedern zu Gitarrenklängen. Wie wird es wohl, wenn wir wieder daheim sind?
Der Törn von Dragesviken zu dem kleinen Schären-Hafen „Barösund“ ist einer der schönsten Segeltage. Richtiger Wind, die Segel sind gesetzt und gut getrimmt. Mein provisorisch eingerichteter Navigationstisch im Niedergang dient der Kartennavigation. Unser Zusammenspiel: Ich nenne die Nummern der Tonnen, Jürgen steht am Steuer mit Blick auf die Tonnen und den Plotter. Wir gleichen ständig die Positionen ab. Die Enge der Schären, kreuzende Fahrwasser, Gegenverkehr und die Ausschau nach der für uns richtigen Betonnung, das ist Segeln in den Schären
Barösund - so schön. Kiefernwälder, zwischen den Bäumen versteckte, klassisch rote Holzhäuser. Wer Natur nicht nur zum Dessert wünscht, ist hier in seinem Element, kann abschalten, erlebt Stille.
Die kleine Hafenpinte hat heute den letzten Tag geöffnet. Wir trinken ein Bier und erzählen mit den Einheimischen, die in dieser Einsamkeit ihre Heimat gefunden haben. Mit Englischkenntnisses klappt die Kommunikation garantiert.
Unser nächster Hafen ist Hanko, hier wird nur übernachtet.
Der Schlag von Hanko nach Korpoström über 48,4 sm erinnert an das nicht vorhandene Russlandhoch, Dauerregen, motoren und segeln im Wechsel, kaum Wind. Es ist die Feuchtigkeit, die in alle Poren zieht. Das durchsteht man nur mit Hilfe der Bord-Apotheke: Vitamin C pur in Form von 1g Kapseln und davon 2 Kapseln/Tag, bei Infektionsgefahr 3-4 Kapseln. Vitamin C Einnahmen heißt auch immer, viel trinken.
Korpoström gehört zu den Entdeckungen der Aaland Inseln. In dem ruhigen Wasser gleiten wir in den kleinen Hafen. Jemand hat mal gesagt:
Die Natur vermittelt Wohlgefühl, weil sie nicht über den Menschen urteilt.
Wir schlafen gut aus und genießen am Morgen die Friedlichkeit des Augenblicks, frühstücken im kleinen Hotel an der Pier. Nur heute für eine Veranstaltung geöffnet. Ein kleines Holzhäuschen fällt uns auf, die Bibliothek von Korpoström. Ohne Tür, einladend für jeden, der lesen will oder Bücher zu verschenken hat.
Sottunga, ein nächster Minihafen, alerdings mit regem Fährbetrieb, einem kleinen Restaurant, und der Magdalena Kapelle aus dem 17. Jhd., ein Kleinod mitten in dieser Abgeschiedenheit. Kein Mensch ist zu sehen, sanfte Idylle. Kann es schöner sein? Morgen segeln wir weiter.
Der Törn durch die Schären der Aaland Inseln ist ein Naturerlebnis besonderer Art. Kaum Wind, glatte See, die warme Sonne und diese Stille, wir lassen uns treiben, ganz ohne Segel. Einsamkeit kann auch schön sein. Vielleicht können wir mit den Bildern vermitteln, wie es sich in Echt anfühlt.
Ein Kreuzfahrtschiff überholt uns hautnah, ich halte die Luft an. Der landschaftlich schöne Linnström- Kanal ist eine Abkürzung nach Mariehamn, aber nur bis zur nächsten Brücke, und die war zu niedrig. Tschaka, wir mussten umkehren.
Mariehamn ist die Hauptstadt der Aaland Inseln, die zu Finnland gehören. Die Aaländer fühlen sich aber mit Schweden verbunden, sprechen schwedisch. Die Finnen sind ihnen nicht besonders sympathisch. Darum bitten sie die Gäste, auf keinen Fall die finnische Flagge zu hissen. Sie haben ihre Eigene, die deutlich sichtbar am Mast flattern möchte.
Im Hafen liegt die Pommern von 1903, heute ein Museumschiff. Realistisch wird gezeigt, unter welchen entbehrungsreichen Bedingungen für die Matrosen Handelsschifffahrt unter Segeln betrieben wurde. Videos mit Interviews einiger Matrosen zeigen die harte Arbeit an Bord.
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