Berlin / Schiffbauerdamm / Bundesratsufer - Jüdisches Museum - Humboldt Forum - Gropius Bau
Für die 23. / 27. / und 29. September haben wir Museumstickets gebucht, online und mit genauer Zeitangabe für die Dauer des Besuchs. Wenn es klappt, möchten wir im (Macht) Zentrum Berlin mit unserer Papagena liegen, schwierig, nur 24 Std. Verweildauer sind gestattet. Kompliziert, aber wir können es regeln. Die beiden möglichen Anlieger „Schiffsbauerdamm“ und "Bundesratsufer" sind nur 6 km voneinander entfernt. Zwischen beiden täglich hin und her zu pendeln, ist eine gute Idee, und es hat funktioniert. Alles unter Kontrolle, so die Patrouille der Polizeiboote.
Wegen Corona fand der "Christopher-Street-Day" verspätet und nur auf den großen Unterhaltungsbooten im Berliner Zentrum statt, und das Ganze gleichzeitig mit unserer ersten Nacht am „Schiffsbauerdamm“. In Dezibel gemessen war das keine GuteNachtMusik. Mitmachen oder mitmachen ;-) Wir haben in der Plicht gesessen, Seite an Seite mit uns und gutem Pfälzer Wein. Eine vergnügliche Geste, bunt und „laut“ werden wir begrüßt. Das passt zu unserer Stimmung, beide sind wir Berlin-Fans geworden.
Heute gehen, fahren wir mit dem Rad zum „Jüdische Museum“. Ein hünenhafter Bau, schiefergrau mit schrägen Fensterschlitzen, es gibt keine geraden Wände. Manche sagen: „Das Gebäude hat die Gestalt von einem Blitz, der sich in der Bauweise des Museums zeigt“ Mit Blick auf die „Deutsch-Jüdische Geschichte“ nennt der Architekt „Daniel Liebeskind“ die Idee seiner Arbeit: „Between the lines“ – „Zwischen den Linien“ Die Umsetzung seiner Inspiration findet sich in drei Achsen im Untergeschoss, die sich kreuzen: die Achse des Exils – die Achse des Holocaust und die Achse der Kontinuität. Kontinuität, damit symbolisiert Liebeskind: "die Hoffnung und das Weiterbestehen Jüdischen Lebens in Berlin".
Die Wände neigen sich, man findet kaum rechte Winkel in dem Gebäude. Das Museum hat keinen eigenen Eingang. Gleich neben dem Jüdischen Museum steht der "Barockpalais". 1735 war es das "Kollegienhaus", damals Sitz der königlichen Justizverwaltung. Von hier aus betreten wir unterirdisch das Jüdische Museum. Wer sich mit „Daniel Liebeskinds“ Ideen zu seiner Architektur beschäftigt, versteht seine unmittelbaren Argumente und Inhalte für den bedeutsamen Museumsbau. Prägend, wie ein Stempelabdruck, wir sind tief beeindruckt.
Viel Zeit verbringen wir in der Werkschau der Videokünstlerin „Yael Bartana“- „Redemption Now“ – „Erlösung, jetzt“ – Es ist ihr Beitrag für die Suche nach einer kollektiven Erlösung zwischen Deutschland und Juden. Das Projekt ist in Berlin
entstanden. Interessante, wie im Traum erlebte Bildfolgen wirken auf uns, faszinierend, aber
erstmal unverständlich und praxisfern. Die Süddeutsche Zeitung hat ihre Videoschau in einem Artikel vorgestellt.
„Und erlöse uns von der Geschichte“ – Sonja Zekri
1. Juli 2021. Unsere Empfehlung, den Artikel vor dem Museumsbesuch lesen.
Link "Und erlöse uns von der Geschichte" Nach einem Telefonat mit der Redaktion der Süddeutschen Zeitung hat man mir bestätigt, das der Artikel auch in Zukunft NICHT gelöscht wird
Ein weiteres Video von Yael Bartanas, „Kings Of The Hill“, zeigt Männer, die mit ihren vierradgetriebenen SUV`s (sportliches Nutzfahrzeug) in Strandnähe versuchen, steile Hänge bis zu 50° Steigung, hochzufahren, crazy. Nur Männer dürfen an dieser Aktion teilnehmen.
Oder das Video „When Adar Enters“, gefilmt wird auf dem Purim-Fest der streng gläubigen orthodoxen Juden. An dem Tag dürfen Kinder und Erwachsene sich verkleiden, dürfen lachen, einfach verrückt sein, alles das, was die religiösen Gesetzte im Alltag verbieten. Traumatisch, Menschen zu sehen, die versuchen, fröhlich zu sein, was sie nicht können, weil sie es nicht kennen, weil sie es traditionell nicht dürfen. Adar ist der Monat Februar. Das Purim Fest findet Mitte Februar statt. Es ist eine Erinnerung an die Rettung des jüdischen Volkes durch Esther, die mit ihrer Intervention bei ihrem König das „Pogrom“ des Judenfeindes Haman an den persischen Juden vereitelte. Esther war Jüdin, hatte das aber ihrem König „Ahasveros“ verheimlicht.
In einem Video sehen wir eine Charismatische Frau als Leitfigur, die eine Gruppe von Frauen mit Gewehren in einer Protestaktion durch die Stadt zu einem Grab führt, in dem die Schusswaffen "entsorgt" werden. Eindringliche Erlebnisse berühren uns, nehmen wir mit nach Hause.
Beeindruckend ist auch das Bild vom „eingefrorenen Verkehr während der Schweigeminute für die Israelischen Kriegsgefangenen“
Im Ausstellungsbereich „Welchen Klang hat das Judentum“ hören wir in kunstvoll gestalteten Klangräumen: den Klang des „Schofars“ (aus einem Widderhorn angefertigtes Blasinstrument) – die Glöckchen der Tora-Kronen – den Gesang des Gebetes oder Klezmer/israelische Pop-Musik. Ein stimmungsvolles Vergnügen, hier zu sein.
„Die Dauerausstellung thematisiert die Zugehörigkeit und Ausgrenzung der Juden in ihren unterschiedlichen historischen Ausprägungen, von nachbarschaftlichem Zusammenleben bis zur Gewalt. Die Themen reichen vom Umgang mit der Zäsur des Holocaust über den Neubeginn jüdischen Lebens in der Bundesrepublik und der (früheren) DDR bis hin zur Migrationsgesellschaft im heutigen Deutschland.
Was zeichnet die jüdische Gemeinschaft aus? Welche Perspektiven hat sie auf politische, gesellschaftliche und kulturelle Phänomene ihrer Zeit? Und wie definiert sie sich heute? Die Ausstellung lässt eine Vielzahl jüdischer Stimmen zu Wort kommen, die unterschiedliche und teils widersprüchliche Sichtweisen auf die historischen Herausforderungen zeigen.“
Den Text habe ich den Informationen zur Ausstellung entnommen. Ich fühle mich nicht in der Lage, die komplexe Vielfalt und tiefgreifenden Aussagen der Präsentationen mit meinen Worten wiederzugeben.
Das „Jüdisches Museum Berlin“ kennen lernen und genügend Zeit für die Ausstellungen haben, dafür reicht ein Tag nicht. Den Ideengebern und Erbauern ist mit dem Museum ein großer Schritt gelungen, hin zum „Nicht vergessen“ in Deutschland, in der Welt.
Ein geringer Besucherandrang hat uns mal wieder mehr Zeit im Museum geschenkt.
Über die Onlineschiene gab es erst Ende September Tickets für das Humboldt Forum mit der Ausstellung „Berlin Global“: "Berlin war und ist ein Teil eines dichten Geflechts, das die ganze Welt umspannt. In vielen Ländern hat Berlin Spuren hinterlassen und wurde gleichzeitig im Geschehen von der Welt beeinflusst". Wirtschaftliche, kulturelle, persönliche Beziehungen, aber auch politisches Handeln markieren die weltweiten Verbindungen. Diese, seit Jahrzehnten komplexe Wechselwirkung - Berlin-Welt - Welt-Berlin ist Thema der Ausstellung. Berlin hat sich auch zur Aufgabe gemacht, den Blick auf das Thema nicht nur aus der Sicht der Weißen zu sehen, auch das ist eine Option der Ausstellung.
Wir freuen uns, vielleicht wird auch hier das Zeitfenster für den Besuch erweitert.
Unter der damaligen DDR-Regierung gesprengt, ist das "Berliner Schloss aus dem 18. / 19. Jh." wieder aufgebaut worden, nur heißt der Neubau jetzt „Humboldt Forum“. Berlin wünschte sich wieder eine neue „Historische Mitte“. Nachgebaute Fassaden aus dem Jahr 1720 und die Kuppel aus dem Jahr 1853 wurden in den Neubau integriert.
„Der italienische Architekt Franco Stella konnte sich 2008 in einem internationalen Wettbewerb mit seinem Entwurf durchsetzen. Man entschied sich für „eine Mischung aus Rekonstruktion und Formsprache der Gegenwart“. Schön gesagt.
Offensichtlich ist viel um den Bau diskutiert und gestritten worden. Ob „Schloss“ oder „Humboldt Forum“. War die Entscheidung richtig? Bemerkenswert ist die Argumentation einiger Gegner zu den Inhalten der Expositionen. Sie kritisieren die klaren Aussagen in der Ausstellung zu den Kolonialmächte und ihrer „Vergehen“: die Versklavung ganzer Bevölkerungsschichten, dem Völkermord, dem Kunstraub, der Machtergreifung in den kolonialisierten Ländern, die wirtschaftliche Ausbeutung der Länder, der Verteilung der kolonialisierten Länder unter den Kolonialherren. Die Spuren dieser Schuld sind bis zum heutigen Tag zu sehen, zu fühlen.
Genau diese Vergehen fremden Völkern gegenüber sind Themen in dem ersten Raum der Ausstellung, den wir betreten: „Weltendenken – als virtuelle 360° Experience“ (Erfahrung) Der gesamte Raum zeigt auf großen Wandbildern den geschichtlichen Ablauf der Kolonialisierung aus deutscher Sicht. Wir glauben, es ist das erste Mal in Deutschland, das eine Institution das Fehlverhalten der Kolonialherren und deren Folgen nennt und beschreibt. Und zwar auf einer künstlerischen und höchst eindrucksvollen Weise. Die Wandbilder sind von den „Urban-Art-Künstlern“ „How and Nosm“ aus New York angefertigt worden. Ein Erlebnis, schon in diesem Raum möchten wir erstmal bleiben. Beim Eintreten waren wir anfangs verwirrt über die im Moment unverständlichen „Comiczeichnungen“. Zum besseren Verständnis sind vier, um 360° drehbare Bildschirme installiert, die man zu einem selbst gewählten Ausschnitt auf den riesigen Wandbildern drehen kann. Per Touch erfahren wir, intelligent und aufschlussreich, Informationen zu diesem Bildausschnitt, wie Kolonialherrschaft funktioniert hat, was sie angerichtet hat.
https://berlin-global-ausstellung.de/#360%C2%B0+Weltdenken
Mit diesem Internetauftritt führen Jennifer und Markus durch die Geschichten der Wandbilder „Weltendenker“ – gefällt uns, informativ und verständlich.
Im Raum „Berlin Bilder“ füllt die Ausstellung bestimmte, allgemein gültige Themen (z.B. Vergnügen-Mode-Grenze-Freiraum) mit Inhalten, die das typische Berlin, seine Vielfalt, eben „Das Berlinerische“ darstellen sollen. Diese Aspekte sind in anderen Metropolen/Ländern ebenfalls zu finden, nur das sie mit typischen, ihrer Region entsprechenden Inhalten ausgestattet sind. Bestimmt haben Moskau, New York oder Peking unterschiedliche Vorstellungen, Traditionen oder Lebensweisen zu den Themen wie „Vergnügen-Mode-Grenzen-Freiraum“. Vielschichtig umfangreich und mit relevantem Bildmaterial ist der Ausstellungsteil „Berlin-Bilder“ ausgestattet.
Wir kommen wieder. Für die Ausstellung „Humboldt Labor“ hat die Zeit nicht gereicht.
Die „Stiftung Humboldt Forum“ ist Bauherrin und Betreiberin des Humboldt Forums.
Ein großer Anteil der Kunststücke im Museum ist Raubkunst aus der Kolonialzeit. Offensichtlich haben die Stiftungsmitglieder kein klares Konzept zum Thema Raubkunst oder zu der daraus resultierenden „Zweischneidigkeit“ ihrer Konzepte. Die Erklärungsversuche in ihren Statuten sind „weich“ formuliert, aber ohne Aussagekraft.
Bei der Recherche zum Humboldt Forum fällt auf, das das Festhalten an christlichen Insignien in Verbindung mit dem Projekt Humboldt Forum eine Rolle spielt. Das Kreuz auf der Kuppel des Humboldt Forums und das Spruchband um die Kuppel herum, beschriftet mit einem Sinnspruch, der „Christliche Unterwerfungsfantasien“ (Tagesspiegel Berlin) vermittelt, rückt die „Stiftung Humboldt Forum“ in Richtung religiöse Intoleranz. „Friedrich Wilhelm IV“ "montierte“ damals den Sinnspruch aus verschiedenen Bibelversen. Ein zarter Rassismus in der historischen Mitte Berlins, ich bin schockiert. Die koloniale Vergangenheit aufarbeiten wollen und gleichzeitig christliche Insignien als Zeichen kolonialer Unterwerfung an erhabener Stelle präsentieren? Da haben die Verantwortlichen ein Problem.
Rings um die Kuppel, auf königsblauem Untergrund ist folgender Sinnspruch zu lesen:
„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“
Der „Gropius Bau“ ist ein beeindruckender Museumsbau aus dem 19. Jh. Wie der Name schon sagt, Martin Gropius war der Architekt. Zur Eröffnung 1881 befand sich hier die Kunstgewerbeschule und das Kunstgewerbemuseum. Der Großneffe, Walter Gropius (Bauhausmitbegründer), hat den totalen Abriss nach dem 2. Weltkrieg verhindert. Unter Denkmalschutz gestellt, gehört das Museum heute zu den „Größen“ in der Berliner Museumsland- schaft. Nach Einschätzung von Fachleuten hat Schinkel auch hier seine Handschrift hinterlassen.
Die Ausstellung „The Cool and the Cold“ (Die Kühle und die Kälte) zeigt anhand von bekannten amerikanischen und russischen Künstlern Bilder, die in einer „kritischen Gegenüberstellung“ den Ost-West Konflikt darstellen, wie die Künstler auf die damalige Situation mit ihren Werken reagiert haben. Die Bilder zum Thema „Freiheit“ in Russland dokumentieren in eindrucksvollen Facetten die individuell empfundenen Unterdrückungen der Staatsmacht. Sie übertragen das subtile Drama der Repressionen auf den Raum, auf uns. Bilder, Gesichter, die in Erinnerung bleiben. Im Kontrast zu den russischen Bildern empfinde ich die Werke amerikanischer Künstler in der Aussagekraft eher schwach. Vielleicht verständlich. Tief empfundene, die Seele zerstörende Unfreiheiten sind amerikanischen Künstlern fremd, das teilt die Auswahl Bilder mit.